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Persönliche Assistenz...

"Ziemlich beste Freunde" gibt es nicht nur im Film. Der französische Kinohit über den hochgelähmten Philippe und seinen persönlichen Assistenten Driss hat einen realen Hintergrund, auch in Deutschland. München, Westendstraße. Hier ist das Büro des VbA Selbstbestimmt Leben e.V. Der Verbund behinderter Arbeitgeber (VbA) hilft Menschen mit Behinderungen, ein selbstbestimmtes Leben aufzubauen. Die UN- Behindertenrechtskonvention gibt jedem das Recht, seinen Wohnort und Beruf frei zu wählen. Schwerbehinderte, die aus einer Pflegeeinrichtung ausziehen möchten, können im Idealfall mit Hilfe des sogenannten Arbeitgebermodells in einer eigenen Wohnung leben, Hobbys und einem Beruf nachgehen, verreisen. Dabei helfen ihnen ihre persönlichen Assistenten.

Das Arbeitgebermodeil funktioniert genau wie im Kinofilm: Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind, stellen über Annonce und Bewerbungsgespräch ihren eigenen persönlichen Assistenten ein. Diesen lernen sie selbst in die benötigte Pflegetätigkeit ein und bezahlen ihm Gehalt und entsprechende Sozial Versicherungsbeiträge. Theoretisch ist das der Schlüssel für alle auf Hilfe angewiesenen Menschen zu mehr Teilhabe in der Gesellschaft. Doch in der Praxis gibt es noch immer viele Hindernisse, auch wenn der VbA bereits seit 1990 aktiv ist.

Viel Bürokratie und Arbeitsaufwand

Viele Menschen wissen immer noch nicht, dass es das Arbeitgebermodell gibt, gerade auch Leute, die erst später eine Behinderung erworben haben", nennt Andrea Barth, eine der Beraterinnen beim VbA, einen Grund. Ein weiterer ist sicherlich die Finanzierbarkeit. Wer sich für das Arbeitgebermodell entscheidet, muss sich auf viel Bürokratie und Arbeitsaufwand einstellen.

"Jeder, der über ein ärztliches Attest, Bedarf nachweist, bekommt auch von den Kostenträgern persönliche Assistenz bewilligt", hat Andrea Barth die Erfahrung gemacht, „nur leider oft zu wenig, um damit ein eigenständiges Leben führen zu können." Und die Durchsetzung der Ansprüche vor Gericht sei schwer. Es gebe Wartezeiten von anderthalb bis zwei Jahren, zu dem sei es für die Betroffenen schwer, überhaupt einen Anwalt zu finden, der sie vertritt. Dennoch gibt es Menschen, die mit Hilfe persönlicher Assistenz in ihrer eigenen Wohnung selbstbestimmt Leben.

„In München praktizieren zwischen 300 und 500 Menschen mit Pflegebedarf das Arbeitgebermodell", schätzt Andrea Barth. Sie selbst gehört auch dazu. Andrea Barth hat spinale Muskelatrophie und benötigt deshalb eine 24-Stunden-Assistenz. Sie sitzt am Tisch mit ihrer Berater-Kollegin Kristina Biburger und VbA-Vorstand Andreas Vega. Auch Kristina Biburger und Andreas Vega nutzen einen Elektro-Rollstuhl und werden wegen ihrer eingeschränkten Bewegungsfähigkeit während des Gesprächs von ihren persönlichen Assistenten mit Getränken versorgt. Die Assistenten sind die übrige Zeit in einem Nebenzimmer und beschäftigen sich, bis ihre Hilfe wieder benötigt wird.

Prinzip des Peer Counseiing

„Wir beraten beim VbA Selbst bestimmt Leben nach dem Prinzip des Peer Counseiing", erklärt Andreas Vega. Dieser Begriff bedeute: Menschen mit gleichen oder ähnlichen Eigenschaften (z.B. mit einer Behinderung) bieten an, andere Menschen in ähnlicher Lage (sogenannte „Peers") zu beraten und zu unterstützen („Counseiing"). Peer Counseiing heißt, die eigene Betroffenheit nicht als Schwäche zu empfinden, sondern sie als besondere Stärke und Erfahrung in der Beratung und Unterstützung von behinderten Menschen und ihren Angehörigen einzusetzen. Die vier Berater des VbA verstehen sich also als Experten in eigener Sache. Sie beantworten alle Fragen rund um das Thema „selbstbestimmt Leben". Der Verbund behinderter Arbeitgeber bietet darüber hinaus im Internet eine Stellenbörse für persönliche Assistenten an und hilft behinderten Arbeitgebern z.B. bei der Lohnabrechnung.

Assistenz...

Jeder hat eine andere Auffassung von persönlicher Assistenz Gute Persönliehe Assistenten zu finden, ist etwas, das Zeit braucht, darüber sind sich die VbA-Uerater einig, „Das fängt schon damit an, dass jeder eine andere Auffassung hat, was für ihn persönliche Assistenz ist", sagt Andrea Harth. Vor einem Vorstellungsgespräch sollten sich künftige Arbeitgeber deshalb darüber klar werden, wie sie ihr Leben gestalten möchten und welche Unterstützung sie dafür benötigen. Und Kristina Biburger ergänzt: „Man sollte den persönlichen Assistenten auch nicht gleich als Freund ansehen und ihm zu viele persönliche Dinge anvertrauen." Aus dem Arbeit`s Verhältnis könne sieh eine Freundschaft entwickeln, dies müsse aber nicht sein.

Kristina Biburgers Assistent Wolfgang Hg arbeitet bereits seit dem Jahr 2001 für sie. Sie verstehen sich sehr gut, aber beste Freunde sind sie nicht. Wolfgang Hg ist eigentlich gelernter Koch. Er erfuhr über eine Bekannte vom Beruf des persönlichen Assistenten. Neben Kristina Biburger hat er noch zwei weitere behinderte Arbeitgeber, die er abwechselnd betreut. Dabei sind Schichten von bis zu zehn Stunden gesetzlich erlaubt. „Es ist ein sehr abwechslungsreicher Beruf. Man ist viel unterwegs, macht viele Freizeitaktivitäten mit, fährt sogar mit dem Arbeitgeber in den Urlaub. Jeder Tag ist anders", schwärmt Woltgang Hg.

Doch das enge Zusammensein hat auch seine Schattenseiten. „Wenn man sich nicht einig ist, muss man trotzdem, auch in den intimsten Bereichen, zusammenarbeiten", erläutert der persönliche Assistent die Problematik und es ist ein körperlich anstrengender Beruf: „Man muss top fit sein. Ich hatte schon einen Bandscheibenvorfall und mache jetzt Krafttraining für den Rücken, weil ich sehr viel heben muss.!"

Zweite Mama oder Sklave?

Das Verhältnis zwischen behindertem Arbeitgeber und seinem persönlichen Assistenten kann sehr unterschiedlich sein. Die VbA-Berater vermitteln häufig bei Streitigkeiten. „Er oder sie behandelt mich wie meine zweite Mama", sei oft die Kritik an den Assistenten. „Ich bin ein Sklave für sie/ihn", kritisieren hingegen öfter die Assistenten.

„Im Bewerbungsgespräch sollte man besonders auf den Charakter achten", empfiehlt deshalb Andrea Barth. „Ist der Bewerber sehr dominant, bestimmend oder bevormundend, dann ist Vorsicht geboten." Oft würden sich auch Menschen als persönliche Assistenten bewerben, die sonst keine Arbeit bekommen und sich den Job ganz einfach vorstellen. „Ich hatte mal eine Bewerberin, deren Hauptkriterium war es, dass ihre Arbeitsstelle nicht mehr als fünf Kilometer von zu Hause entfernt liegt. Die habe ich gleich wieder nach Hause geschickt", erinnert sich Andrea Barth.

Kristina Biburger beschäftigt insgesamt fünf Assistenten für ihre 24-Stunden-Betreuung. Der Stundenlohn liegt in München bei 9,97 Euro. Da eine Rund-um-die Uhr-Betreuung Kosten von monatlich rund 10.000 Euro verursacht, nehmen die Kostenträger sehr gern Angehörige in die Pflicht. „Wer persönliche Assistenten beschäftigt, sollte möglichst nicht verheiratet sein und nicht offiziell mit einem Partner zusammenleben", warnt Andrea Barth. „Andernfalls wird das Budget für die persönliche Assistenz schnell zusammen gestrichen." Dann erzählt sie von einem Siemens-Mitarbeiter, der Herzrhythmus-Störungen bekam, weil ihn die Kostenträger seiner Frau über seine ganze Freizeit hinweg als Assistenten einplanten. Die Frau bekam nur noch während der Arbeitszeit ihres Ehemannes persönliche Assistenz bewilligt. „Dabei muss man auch bedenken, dass die Pflegetätigkeit an sich eine Beziehung ebenfalls belastet", fügt Kristina Biburger hinzu. Als Geldgeber für die persönliche Assistenz kommen die Pflegeversicherung, das Sozialamt und andere Kostenträger in Frage. „Wer mehr als 2.500 Euro an Vermögen hat, muss dies erst aufbrauchen", kritisiert Andreas Vega.

„Ziemlich beste Freunde ist ein schöner Film" Der 51-Jährige hat ebenfalls seit seiner Geburt eine spinale Muskelatrophie. Elf ]ahre lang lebte er in einem Heim. Dann gründete er mit drei anderen Leuten eine Wohngemeinschaft. „Ich habe damals einen Prozess geführt. Der Landkreis München wollte meine Pflege nicht bezahlen." Andreas Vega teilte sich damals mit den ebenfalls behinderten Mitbewohnern die Assistenz. „Das gab oft Streit, denn die Assistenten waren dadurch nicht immer verfügbar", erinnert er sich. Heute lebt er allein und hat mehrere Persönliche Assistenten, die sich abwechseln.

Die persönliche Assistenz lässt sich übrigens auch mit der Beauftragung eines Pflegedienstes kombinieren. Doch gegenüber dem Pflegedienst hat das Arbeitgebermodell nach Meinung der Mitarbeiter des VbA klare Vorteile. „Man kann selbst bestimmen, wann man schläft, isst, duscht, Ausflüge unternimmt", bringt es Kristina Biburger auf den Punkt. Das Arbeitgebermodell ist also ein Modell für mehr Freiheit und Selbstbestimmung. Höchste Zeit, dass es bekannter wird, sagen alle Beteiligten, und da kam ihnen der Film „Ziemlich beste Freunde" gerade recht. „Es ist ein schöner Film. Er beschreibt Vieles sehr treffend", sagt Andreas Vega. „Noch besser wird die Problematik aber in dem Film "Inside I'm dancing" dargestellt, gibt Kristina Biburger noch einen Tipp.

Der Verbund behinderter Arbeitgeber  www.vba-muenchen.de befindet sich unter dem Dach der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL).

Im Internet:

 www.isl-ev.de

Es gibt Zentren für Selbstbestimmtes Leben auch in vielen anderen deutschen Städten. Hier eine Liste der Zentren und von Partnerorganisationen: 

http://www.isl-ev.de/de/organisation.html

Angeregt durch die „Independent Living Bewegung" behinderter Bürger/innen in den USA, entstanden im gesamten Bundesgebiet Anfang der 90er Jahre die Initiativen der „Selbstbestimmt Leben Bewegung" von Menschen mit Behinderung. Eine Regel in diesen Initiativen ist es, dass die leitenden Positionen ausschließlich von behinderten Menschen besetzt werden. Der VbA selbstbestimmt Leben e.V. setzt sich unter an-derem ein für: ein eigenes Leistungsgesetz für Menschen mit Behinderung, in dem ein Hilfeanspruch und Nachteilsausgleich bedarfsgerecht und ganzheitlich geregelt werden, sowie die gesetzliche Verankerung und die bundesweite Finanzierung des „Arbeitgebermodells" als alternatives Hilfesystem.